Marcel Fässler schreibt Renngeschichte. Als erster Schweizer gewann der Einsiedler das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Exklusiv stellt uns der stolze Champion das Siegerauto, den Audi R18, vor.
Le Mans ist der absolute Wahnsinn. Und das anhaltende Duell Audi versus Peugeot an Dramatik nicht zu toppen. Nur Sekunden trennten die Konkurrenten nach 24 Stunden Fahrzeit. Dann triumphierte zum zehnten Mal Audi. Und Marcel Fässler, der als erster Schweizer diesen Rennklassiker mit seinen beiden Teamkollegen Benoît Tréluyer und André Lotterer für sich entscheiden konnte.
Dabei hatte es zunächst gar nicht gut für die Herren der Ringe ausgesehen. Nach spektakulären Unfällen im ersten Renndrittel waren schnell zwei von drei Werksautos ausgeschieden. Die letzte Hoffnung ruhte auf dem Trio Fässler, Tréluyer und Lotterer. Die Nerven hielten. Und das, obwohl in der Schlussphase beim Boxenstopp nicht mehr die vollen 65 Liter in den Tank flossen und Schlussfahrer Lotterer zu allem Übel die letzten Runden mit einem schleichenden Plattfuss absolvierte.
Nach 24 Stunden lagen nur 13,5 Sekunden zwischen dem Fässler-Audi und dem Peugeot 908. Am Ende blieb Fässler nur noch das Daumendrücken, weil er nicht mehr zum Einsatz kam. "Ich habe noch nie so lange sechs Stunden erlebt. Es schienen plötzlich alle Uhren nicht mehr zu funktionieren", erzählt der 35-jährige Einsiedler. "Aber dann habe ich mich gefreut, als erster Schweizer diesen Klassiker gewonnen zu haben. Ein Super-Tag."
Für Audi war es der zehnte Sieg in ihrem dreizehnten Le-Mans-Jahr. Hinter Porsche belegt Audi Platz zwei in der ewigen Le-Mans-Bestenliste.
Finne ist Pflicht
Doch was zeichnet das Siegerauto von Audi aus? Zum Beispiel sein Leergewicht von 900 Kilo und die Aufteilung der Karosserie in zehn Baugruppen. Das Monocoque ist aus einem Stück gefertigt. Das spart Gewicht und erhöht die Steifigkeit. Bei der Konkurrenz ist es zweigeteilt, Ober- und Unterteil werden zusammengeklebt. Besonders sticht die grosse Finne hervor, welche die Fahrzeugkuppel mit dem Heckspoiler verbindet. "Die Finne ist bei den LMP1-Neufahrzeugen im Reglement vorgeschrieben. Sie ist ein wichtiger Sicherheitsaspekt und reduziert deutlich die Überrollneigung bei einem seitlichen Überschlag", erklärt Marcel Fässler. "Eine Acht-Grad-Schräge im Unterboden und der kleine Winkel auf den Aussenseiten des jetzt hochgezogenen Frontspoilers verhindern einen Crash, wie er Mercedes-Benz und Peter Dumbreck widerfahren ist." Seinerzeit hob das Auto ab und machte in der Luft einen Salto rückwärts.
Jedes Detail zählt. So rollte der Le-Mans-Renner in diesem Jahr erstmals vorn und hinten auf der gleichen Reifendimension. "Das sorgt für eine ausgewogene Gewichtsverteilung", sagt der neue Champion. Ein technisches Highlight waren die erstmals aus Lichtmengen-optimierten LED bestehenden Scheinwerfer. Fässler: "Damit ist es nachts fast taghell. Das hat das Licht um 50 Prozent gesteigert und den Energieverbrauch um 10 bis 15 Prozent gegenüber den R15-Scheinwerfern reduziert."
Klimaanlage ade!
Auffällig sind am R18 zudem die Sitzposition und die Rechtslenkung. "Das liegt an der Konstruktion im Vorderbau. Jetzt sitzt man gerade hinterm Steuer. Im R15 sassen wir immer leicht verdreht." Erstmalig trat Audi ausserdem mit einem geschlossenen Auto an. Mehr Aerodynamik für mehr Effizienz. Das bedeutet aber, den Piloten bleibt kaum mehr als ein Sehschlitz. "Das sind Nuancen", sagt Fässler. "Es ist weniger die tiefe Sitzposition als die Breite der A-Säulen, welche die Sicht einschränken. Dafür können wir aufgrund des flacheren Sicherheitsbanketts vor den Kniebereichen deutlich früher vors Fahrzeug gucken."
Für den Einsiedler war die Umstellung auch weniger gross, weil er bereits im Vorjahr Erfahrungen sammeln konnte. "Der R18 war keine grosse Umstellung. Mit einem normalen manuellen Getriebe wäre es eine noch grössere Umgewöhnung gewesen."
Noch eine Premiere: das Sechsganggetriebe von X-trac. Beim R15 gab es noch einen Fünfgänger. Eine Neukonstruktion, bei der nicht pneumatisch, sondern elektrisch geschaltet wird.Das Reglement nimmt ausserdem Einfluss auf die Cockpit-Temperatur. "Wir müssen eine bestimmte Innenraumtemperatur einhalten. Sie darf nur sieben Grad über der Aussentemperatur liegen. Das schaffen wir mit einer Luftdurchströmung des Cockpits." Auf eine Klimaanlage musste der Sieger verzichten. Es wurde zwar eine entwickelt, doch Gewicht und Verbrauch hätten darunter gelitten. Daher blieb sie draussen.
Keine Hektik gab es dafür bei den Fahrerwechseln. Fässler: "Der Effizienzgedanke und reduzierte Reifenwechsel stehen im Vordergrund. Und weil es einen Durchlaufrestriktor in der Tankanlage gibt, rückt die Schnelligkeit des Fahrerwechsels in den Hintergrund." Ein grosses Thema beim diesjährigen Lauf war die Effizienz. "Darum wechselte Audi vom Zehn- auf einen Sechszylinder mit variabler Turbinengeometrie", erklärt Fässler. Das Leistungspotenzial verringerte sich von 605 auf 540 PS. Aus dem Zylinderbankwinkel resultiert ein tiefer Schwerpunkt. Um die Durchströmung zu verbessern, wanderten die Auspuffkrümmer zwischen die Zylinderreihen. Sie enden in einem Einrohrauspuff unterhalb des Heckspoilers. "Den Leistungsverlust kompensieren wir über die Aerodynamik", erläutert der Champion. Mit Erfolg, wie Marcel Fässler, André Lotterer und Benoît Tréluyer bewiesen haben.
Quelle: auto-illustrierte, Juli 2011